Was ist da eigentlich los? Ist denen etwa langweilig in Mea Shearim?
Jerusalem ist die Hauptstadt des juedischen Staates. Eine Stadt, die sehr viel zu bieten hat, na ja, vielleicht nicht so viele Parties wie Tel Aviv anbietet, aber definitiv hunderte anderer Besonderheiten. Zum Beispiel gibt es dutzende atemberaubender Aussichtspunkte; unzaehlbar Kulturen, Sprachen, Farben und Religionen; verschiedenste Nachbarschaften, von saekular bis ultra-Orthodox, von arabisch (Ost-Jerusalem) bis religioes-nationalistisch juedisch, vom Bokharischen Bar-Ilan ueber das Nord-Afrikanisch-Franzoesische Har Choma bis hin zu Russischsprachigen Gegenden wie Pisgat Zeev und Anglo-Hochburgen wie Baka und Arnona; die aelteste und beste (jedenfalls nach internationaler Weltrangliste) Uni Israels - die Hebraeische Universitaet; unzaehlbare Parkanlagen, Museen, Hotels, Cafees...
Nichtsdestotrotz haben Israelis, die nicht in Jerusalem leben oftmals nicht viel uebrig fuer die Hauptstadt und koennten sich beim besten Willen nicht vorstellen hier zu leben. Warum? Ganz einfach, weil viele der Auffassung sind, dass Jerusalem eine Stadt ist, die ausschliesslich von ultra-orthodoxen Juden (Charedim) und Arabern bewohnt wird.
Das das nicht wahr ist, wissen nur wir Jerusalemer selbst, denn jedem hier ist bekannt, dass ca. 1/3 der Bewohner dieser Stadt saekulare, bzw. nicht-religioese Juden sind (zu denen auch ich mich zaehlen darf).
Im November letzten Jahres haben wir Jerusalemer Nir Barkat zu unserem neuen Buergermeister gewaehlt. Barkat, ein High-Tech self-made Millionaer, der erst 2003 in die Politik eintrat, war fuer die meisten Jerusalemer, wie auch fuer mich, die richtige Wahl, nicht weil er "besser" ist als sein direkter Kontrahent Meir Porush, sondern weil er nicht aus dem ultra-orthodoxem Lager kommt.
Jerusalemer, die Nir Barkat gewaehlt haben erwarten von ihm, dass er den status quo in Jerusalem bewahrt, d.h. verlangen von ihm, dass er die 1/3 zu 1/3 zu 1/3 - Aufteilung der Bevoelkerung, die eher nebeneinander als miteinander leben, haelt, was keine einfache Aufgabe ist, denn viele saekulare Juden, besonders die jungen Bewohner der Stadt, fuehlen, dass die Charedim langsam aber sicher auch in die saekularen Gegenden vorruecken und auch so versuchen den Ton in der Stadt anzugeben.
Allen ist bekannt, dass Charedim und Araber im Durchschnitt zwischen 5 und 10 Kinder zur Welt bringen (in nicht wenigen Faellen auch mehr als 10!!!). Saekulare Juden haben meistens nicht mehr als 3 Kinder. Frueher oder spaeter ist somit klar, dass die Stadt ihre 1/3 zu 1/3 zu 1/3- Aufteilung verlieren wird und das Drittel der saekularen Juden einschrumpfen wird, es sei denn es wird was dagegen gemacht.
Nir Barkat kennt das demographische Problem Jerusalems, deshalb hat er sich als Ziel gesetzt, den modernen und jungen "touch" der Stadt zu erhalten. Unter anderem versucht er schon seit einigen Jahren (schon lange bevor er zum Buergermeister gewaehlt wurde) junge Israelis nach Jerusalem zu locken indem er massenhaft Stipendien austeilt und versucht den Arbeitsmarkt aufzupeppen.
Die Charedim jedoch lassen sich nicht so schnell unterkriegen und haben vor kurzem zum Gegenangriff aufgeriefen. Hunderte, wenn nicht tausende Charedim haben mittlerweile schon zum dritten Mal gegen die Oeffnung einer Parkanlage am Shabbat in der Naehe der Altstadt von Jerusalem demonstriert. Sie behaupten, dass die Parkanlage mehr Touristen nach Jerusalem locken wird, weil man so direkt gegenueber der Altstadt parken kann. Mehr Touristen = mehr Autos; mehr Autos = mehr Laerm; mehr Laerm = Shabbatruhe gestoert.
Die Charedim wollen dem Jerusalemer Buergermeister, den saekularen Jerusalemern und dem Rest Israels beweisen, dass sie "den Hammer in der Hand halten" wenn es um Jerusalem geht. Sie wollen einfach nicht akzeptieren, dass nicht jeder Jerusalemer der Charedi-Gemeinde angehoert und in Mea Shearim wohnt.
Nir Barkat darf keinen Rueckzieher machen vor den Charedim und muss fuer die Freiheit und Offenheit dieser Weltstadt kaempfen. Das Parkhaus gegenueber der Altstadt ist in diesem Fall das Symbol der Freiheit.
05.07.2009
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